Es war mehr als eine Armlänge Distanz

Ein schönes Wochenende vor einigen Jahren bei einer Tante in einer großen Stadt… gemeinsam fuhren wir noch zum Bahnhof, schlenderten noch fröhlich herum, bis wir uns nach einer herzlichen Umarmung verabschiedeten und ich in den Zug stieg.
Es war ein großes Abteil, so eins, wo nur durch die hohen Sitzlehnen eine Art Trennung im Waggon geboten wurde. Immer zwei Sitzplätze nebeneinander und gegenüber dasselbe, ein kleiner Klapptisch am Fenster.

Es ergab sich, dass ich nahe der einen Waggonschiebetür in Blickrichtung ins ganze große Abteil hinein am Fenster Platz nahm, eine ältere Frau setzte sich neben mich, so dass sie neben dem Gang saß. Der Zug fuhr an, meine Tante winkte mir nochmal lustig zu und der Zug fuhr raus. Etwa zwei Stunden Fahrtzeit bis zum Umsteigen…

Nach etwa 20 Minuten setzten sich zwei Männer auf die gegenüberliegenden Sitze. Interessierte mich nicht wirklich, da ich in meinem Buch gelesen habe. Ich hab kurz hochgeschaut, den kurzen Gruß genauso kurz und knapp zurückgegeben und dann weitergelesen.

Eine Hand legte sich dann auf meine Buchseite. Da ich davon irritiert war, schaute ich hoch und in das lächelnde Gesicht des einen Mannes, dem diese Hand auch gehörte.
Ich fragte freundlich-deutlich „Was ist denn?“ und bekam die Antwort „Du ein schönes Frau.“ Nun,  ich zuckte mit den Schultern, grinste und schob diese fremde Hand von meinem Buch. Die ältere Frau wirkte etwas irritiert, lächelte mich etwas unsicher an.

Dann war etwas an meinem einen Fuß. Ich schaute an meinem Buch vorbei zu meinem Fuss herunter, an dem sich nun ein anderer Fuss rieb. Mir wurde es etwas mulmig. Ich schaute hoch und fragte „Was soll das?!“ Er antwortete „Du bist schöne Frau. Du gefallen mir. Ich möchte dich kennen.“ Ich sagte „Nein. Ich will das nicht.“
Das nützte aber nichts. Auch das Zurückziehen meiner Füße und eine deutliche Abwehrhaltung zeigten keine Änderung seiner „Bemühungen“.

Ich begann mich zu fragen, welcher Nationalität dieser Herr und sein Begleiter waren. Ob die das NEIN nicht verstanden? Sie wirkten südländisch, dunklere Haut, so in Richtung Mittelmeer, krause dunkle Haare. Gepflegt und ordentlich gekleidet.
Allerdings hätte ich nicht wirklich ein Fahndungsfoto miterstellen können, denn ich vermied es ganz klar, sie länger als eine gefühlte Sekunde anzusehen.

Er rückte auf seinem Sitz nach vorn in meine Richtung, legte mir seine Hände auf die Knie. Ich hatte ne einfacheJeans, einen Halbarmpulli mit normalem Rundhalsausschnitt und sportliche Laufschuhe an. Also nichts „Verwerfliches“ oder „Anzügliches“. Ich wurde deutlicher und schubste seine Hände mit meinen Händen von meinen Knien. Dabei sagte ich wieder „Nein. Hören Sie damit auf.
Die ältere Frau wurde unsicherer und unruhiger. Die Tür ging auf und ein weiterer, ähnlicher Mann kam herein. Er stellte sich neben ihren Sitzplatz in den Gang und lehnte sich an das Rückenpolster. Sie schien es nun ganz klar auch mit der Angst zu kriegen, denn sie stand nach einer Minute auf, nahm ihre Tasche und ihren Korb und verließ diesen Viererplatz. Der stehende Typ liess sie grinsend vorbei und setzte sich sofort auf ihren ehemaligen Platz neben mich. Somit war ich eingekesselt.

Die Situation war mir unendlich lästig. Der redende Mann mir schräg gegenüber erzählte in gebrochenem, aber recht gutem Deutsch alles Mögliche, so in etwa … warum ich ihn heiraten solle, was er alles hätte, wie reich er wäre, was er mir bieten würde, dass ich verwöhnt werden würde, dass ich eine ganz schöne Frau bin, er sich verliebt hat, er mich haben will, mir eine Hochzeit mit schönsten Kleidern bieten kann und so weiter.
Ich versuchte, nicht hinzuhören und meine aufsteigende Panik nicht zu zeigen, sondern weiterhin klar und deutlich meine Abneigung zu zeigen und mit regelmäßigem NEIN! zu äußern. Doch das half nicht. Aufstehen? Weggehen? Keine Chance, denn die beiden anderen wirkten bullig und hatten ihre Gliedmaßen ganz klar in „Schrankenstellung“. Natürlich hatte ich versucht, die Situation sozusagen räumlich zu verlassen. Aber ich wurde mit deutlichem Druck -Schubs von meinem Nebensitzenden – ohne Worte – wieder in die Sitzposition gedrückt.

Als der Schaffner das Abteil betrat und auch dort, wo ich festsaß, die Fahrkarten sehen wollte, sagte ich ihm freundlich und deutlich, dass ich von diesen drei Männern belästigt werde. Der Schaffner war nun zwar nicht so wirklich groß und kräftig, aber aufgrund seines Status meiner Meinung nach in der Lage, mich aus dieser brenzligen Situation zu befreien bzw. mir behilflich zu sein. Doch er  schaute sich die Männer an, die ihn freundlich anlächelten, als ob sie nix verstünden und völlig unschuldig – auch in der Körperhaltung – leicht angelehnt da saßen. Der Schaffner sagte „Wieso, die machen doch nichts?“

Die ältere Frau hatte sich offensichtlich in den nächsten Vierersitz gesetzt, denn sie kam dazu  und sagte zum Schaffner „Doch! Die haben die junge Frau betatscht und bequatschen sie die ganze Zeit!“ Der Schaffner meinte „und was soll ich da tun? Die kann doch aufstehen und weggehen!“. Ich wurde leicht wütend. Stand auf, nahm meine Reise- und meine Handtasche und sagte „Gut, jetzt ist die Gelegenheit, denn die haben mich hier nicht rausgelassen!“
Der Schaffner zuckte mit den Schultern, der neben mir rückte grinsend seine Beine zurück, ich ging auf den Gang mit dem Schaffner weiter ins Abteil. Bedankte mich mit einigen herzlichen Worten bei der Dame, die mir darauf verständnisvoll kurz an den Arm fasste und sich wieder auf ihren neuen Platz setzte. Ich suchte mir im nächsten Großabteil-Waggon einen freien Sitzplatz, wieder mit dem Blick ins Abteil hinein.

Es dauerte nicht lange, und die drei Männer kamen nach. Dort wo ich nun war, konnten sie mich aber aufgrund der Sitzposition nicht so „einkesseln“. Denn von den vier Plätzen war nur noch einer frei, so setzten sich die zwei  bulligen „Aufpasser“ getrennt aber in Sichtnähe und der „Heiratswillige“ auf den einen freien Platz mir gegenüber. Die anderen Fahrgäste die mit im „Viererplatz“ saßen, waren nur körperlich da, der eine schlief und der andere sah nur aus dem Fenster.
Somit begann der „Heiratswillige“ wieder mit seinen „Annäherungen“ und seinem Geflüster. Frauen wären in seinem Land das Göttlichste und Beste, soetwas wie mich hätte er gesucht, eine Frau wie ich würde sein Ansehen noch steigern und ich würde alles bekommen was ich mir erträumte und so weiter und so fort.
Das war so widerlich, ich wurde wieder laut und deutlich. NEIN! Ich sprach die anderen beiden neben/schräg vor mir an, die da mit saßen, doch sie trauten sich offensichtlich nicht, irgendeine Regung zu zeigen.  Die Situation war wieder sehr brenzlig. Ich blieb aber so gut es ging, ruhig, ohne Panik oder Geschrei.

Da ich bald aussteigen musste, wurde ich aber wohl doch etwas nervös. Die aufmerksamen, harten Blicke der bulligen Aufpasser ließen nichts Gutes erahnen. Ich schaute mich um zu den Türen und da kam doch etwas Panik auf: beide Abteiltüren waren belagert mit … mittelmeer-südländisch-aussehenden grinsenden Männern. Großer Gott, sollte ich tatsächlich den Zug nicht ohne Bedrängen verlassen können? Ich hatte wirklich !!! Angst.

So nervös wie ich war, fing ich einen Blick zwei Sitzreihen weiter auf. Ein offensichtlich großer, kräftiger junger Mann, der mich scheinbar schon etwas beobachtet hat und die ganze Sache scheinbar auch. Denn er machte mit einer Hand eine ganz kurze, leichte Bewegung wie „hoch-runter-Winken“ – ich wertete das als „bleib ruhig“ und schaute ihn fragend an. Er nickte ganz leicht und machte dieselbe Bewegung nochmal. Es schien mir, als ob er mir signalisieren würde „ruhig bleiben, ich helfe…“ und ich hatte kaum noch was anderes im Kopf als „Raus hier“…
Um keine weitere, unnütze „Aufmerksamkeit“ der „Südländer auf mich zu ziehen und denen nicht zu zeigen, wie nervös und aufgeregt ich war, liess ich mich noch die letzten Minuten belabern, ohne irgendeine Entgegnung oder Eindämmversuche.

Als die nächste Haltestelle angesagt wurde, schnappte ich mir, nachdem der junge Mann mir zugenickt hatte und aufstand, ganz zügig meine zwei Taschen beim schnellen Aufstehen, ein Schritt auf den Gang. Der eine bullige „Aufpasser“ in meiner nächsten Nähe stand auch sofort auf, aber der junge „Retter“ war schneller und nahm mich sozusagen in „Schubs-Obhut“, ich hatte auch noch Glück dazu, dass vor mir noch jemand anderes aussteigen wollte und somit die Abteiltür aufmachte. Die „Wachposten“ konnten somit nicht wirklich das Türöffnen und Abteilverlassen verhindern, denn dann hätten sie auch die anderen Fahrgäste gegen sich gehabt. Die Zugtür öffnete sich, mein „Retter“ flüsterte „Steig schnell aus, ich passe auf. Ich muss hier nicht raus“ und gab mir einen freundlichen Klaps auf die Schulter. Ich konnte den Zug verlassen, wobei mich die wütenden Blicke der Südländer ganz klar „verfolgten“. Doch mit einem kurzen Zurückblick sah ich, wie mein „Retter“ mit einer Seelenruhe die Zugtür von innen wieder zumachte… und ich sah auch die Südländer, wobei der „Heiratswillige“ sowas von wütend aus dem Fenster
zu mir runter sah…

Ganz ehrlich – natürlich hätten es auch grüne kleine Marsmännchen, schwedische Blondies oder karierte Chilenen sein können. Sorry, mir war immer egal, woher jemand kam und kommt. Aber in diesem einen Fall wurde ich von sehr nervigen, sehr schleimigen und für mich unangenehmen südländischen Männern belästigt. Deutliche Worte wie NEIN, Stopp, Aufhören wurden mit läppischem Grinsen ignoriert. Es war eindeutig, was eine Frau bei ihnen „zählte“. Begehrliches Objekt, keine Achtung oder irgendein Zuhören, kein Respekt.

Nun, in der aktuellen „Lage“ verhalte ich mich trotz diesem, schon einige Jahre vergangenen, grusligen Erlebnis tolerant.
Aber ich bin auch „Retter“ – ich habe schon einige Male eingegriffen, wenn mir „Hilf mir“ signalisiert wurde. Auch ohne Krafttraining oder Kampfsporterfahrung konnte ich zumindest ein bisschen „Hilfe“ leisten, durch das Dasein. Wie die ältere Frau…

Noch heute, WENN ich daran denke, danke ich allen, die mir Zuversicht gegeben haben und mir hilfreich zur Seite standen.